Wenn das Brot nicht mehr vertragen wird
Autorin: Johanna Saalfrank (B.Sc. Ernährungswissenschaft & Masterstudentin Nutritional Medicine an der Universität zu Lübeck)
Was haben Gluten, FODMAPs und ATIs mit unserem Darm zu tun?
Vor ein paar Jahren verkauften ausschließlich Reformhäuser und Gesundheitsspezialanbieter glutenfreie Ersatzprodukte. Heute gibt es in jedem Supermarkt eine unübersehbare Anzahl von Produkten, welche mit „Gluten frei“ werben. Es scheint, als wären Produkte ohne Gluten ein Lifestyleprodukt geworden. Für Menschen mit Zöliakie ist diese Entwicklung ein regelrechter Segen! Aber Gluten – das sich vor allem in Cerealien wie Weizen, Roggen oder Gerste befindet – wird nicht nur bei einer nachgewiesenen Glutenintoleranz nicht vertragen, auch andere klagen über Beschwerden nach dem Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel. Grund dafür könnten eine Weizenallergie, Weizensensitivität oder ein Reizdarm sein. Welche Physiologie dahinter steckt, wo die Unterschiede liegen, was FODMAPs und ATIs sind und was sie mit dem Verzehr von Weizen zu tun haben, dazu hier mehr.
(K)eine Extrawurst!
Kochen für Freunde kann zu einer echten Herausforderung werden. Es scheint fast, als sei es „Trend“ an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit zu leiden. „Du isst, was auf den Tisch kommt!“ gilt schon lange nicht mehr. Oft sind der Blähbauch nach Obstsalat, der Durchfall nach einem Glas Milch oder die Kopfschmerzen nach Käsekonsum allerdings nicht willkürlich erfunden. Obwohl tatsächlich verschiedene Bestandteile des Lebensmittels die Beschwerden auslösen können, ist nicht immer automatisch eine Allergie verantwortlich für die Symptome. Bei Unverträglichkeiten muss man v.a. unterscheiden zwischen Lebensmittel-Allergien und -Intoleranzen. Deshalb hier zunächst eine Erklärung, was sich hinter welchem Wort versteckt.
Das Immunsystem reagiert über
Handelt es sich um eine Allergie, ist das körpereigene Immunsystem im Spiel. Bestimmte Bestandteile des Essens werden als „Feind“ erkannt, woraufhin Immunzellen Alarm schlagen und eine allergische Reaktion auslösen. Unser Immunsystem schützt uns zum einen vor fremden Krankheitserregern und unterstützt zum anderen die Zerstörung körpereigener, unkontrolliert wachsender Zellen. Dabei ist es wichtig, dass unser Immunsystem zwischen gefährlich und ungefährlich als auch zwischen fremden und körpereigenen Zellen unterscheidet. Die Nahrung ist in erster Linie körperfremd und wird dadurch von unserem Immunsystem kontrolliert. Im Normalfall stellen die Immunzellen aber fest, dass die Lebensmittel harmlos sind und wir bekommen von ihrem Kontrollgang gar nichts mit.
Im Falle einer Allergie hingegen ordnen die patrouillierenden Immunzellen die Nahrungsbestandteile fälschlicherweise als bedrohlich ein und beginnen diese zu bekämpfen. Es kommt zu einer überschießenden Reaktion unseres Immunsystems, wobei massenhaft Abwehrproteine (IgE-Antikörper) produziert werden. Diese Antikörper markieren die körperfremden Proteine aus der Nahrung (Antigene) und setzen Botenstoffe frei. Histamin kann so ein Botenstoff sein, das über verschiedene Mechanismen zu typischen allergischen Reaktionen wie Juckreiz, Hautschwellungen oder Abfallen des Blutdrucks bis hin zu einem anaphylaktischen Schock führen kann. Die Symptome treten oft wenige Minuten bis maximal zwei Stunden nach dem Verzehr des Allergens auf. Diese allergische Sofortreaktion wird auch Typ-1-Reaktion genannt. Lösen eigentlich harmlose Lebensmittel eine solche Typ-1-Reaktion mit typischen IgE-Antikörpern aus, spricht man von einer Nahrungsmittelallergie. Von einer „echten“ Weizenallergie – also einer Nahrungsmittelallergie gegen Eiweißbestandteile des Weizens – sind gerade mal 0,4% der Bevölkerung (siehe Abbildung 1) betroffen. Es trifft mehr Kinder als Erwachsene.
Wenn manches nicht toleriert wird
Eine Lebensmittelintoleranz dagegen liegt dann vor, wenn unser Körper bestimmte Bestandteile unserer Nahrung nicht richtig verdauen oder abbauen kann. Anders als bei Nahrungsmittelallergien liegt der Auslöser nicht in einer IgE-vermittelten Immunantwort. Diese Antikörper können also im Blut eines Menschen mit Lebensmittelintoleranz im Vergleich zu einem Allergiker nicht nachgewiesen werden.
Eine sogenannte Enzymopathie könnte der Auslöser für einige Nahrungsmittelintoleranzen sein. Hinter dem kompliziert klingenden Namen steckt ein Enzymdefekt oder Enzymmangel. Ein Beispiel hierfür ist die weit verbreitete Laktoseintoleranz. Hierbei ist das Enzym Laktase, das im Dünndarm für die Verdauung des Milchzuckers (Laktose) verantwortlich ist, in unzureichender Menge vorhanden. Die unverdaute Laktose gelangt somit in den Dickdarm, wo sie eigentlich nichts verloren hat und wird dort von Bakterien unseres Mikrobioms zerlegt. Bei ihrem Festmahl produzieren die Bakterien Gase, die bei Menschen mit Laktoseintoleranz der Grund für Blähungen und Bauchschmerzen sind. Zudem kommt es zu einem osmotischen Vorgang (Wasser tritt vermehrt in den Darm um den erhöhten Laktosegehalt auszugleichen) und damit zu Durchfall. Wieviel Laktose der einzelne verträgt, ist sehr individuell und hängt von der eventuell noch vorhandenen Laktase-Menge ab. In Deutschland sind ca. 15% der Bevölkerung laktoseintolerant. In weiten Teilen Asiens und Afrikas sind wesentlich mehr Menschen betroffen.
Ein anderer Mechanismus liegt einer Fruktoseintoleranz zu Grunde. In unserem Dünndarm gibt es spezielle Transporteiweiße, die den Fruchtzucker (Fruktose) über die Darmschleimhaut in unser Blut verfrachten. Ihre Anzahl ist allerdings begrenzt und damit auch die Kapazität des Fruktosetransports ins Blut. Essen wir mehr Fruktose als Transporteiweiße zur Verfügung stehen, gelangt die im Nahrungsbrei verbleibende Fruktose in den Dickdarm. Erneut machen sich die Darmbakterien über den Fruchtzucker her und bilden dabei beschwerdeauslösende Gase. Wie viel Fruchtzucker jeder einzelne verträgt ist sehr individuell – manche Menschen besitzen eine höhere Anzahl der spezifischen Transporteiweiße und vertragen daher größere Mengen Fruchtzucker, andere können nur geringe Mengen Fruchtzucker pro Mahlzeit aufnehmen. Die „unproblematischen“ Mengen können deshalb von Person zu Person sehr unterschiedlich sein.
Unverträglichkeit ist nicht gleich Unverträglichkeit
Bei einer Weizenunverträglichkeit ist die Lage noch etwas komplexer. Die Unverträglichkeiten, die nach dem Verzehr glutenhaltiger Produkte auftreten, können in drei Untergruppen gegliedert werden:
- Zöliakie:
Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Entzündung der Darmschleimhaut komm
2. Weizenallergie:
„klassische“ igE-Antikörper vermittelte Immunantwort gegen Weize
3. Weizensensitivität:
Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität ohne spezifische Antikörper
Abbildung 1: Prävalenz der Getreideunverträglichkeiten
1. Zöliakie
Die Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer chronischen Entzündung der Darmschleimhaut kommt. Das in vielen Getreidearten enthaltene Gluten löst bei genetisch prädisponierten Menschen die Produktion von Antikörpern (IgA und IgG) gegen Gewebeteile des eigenen Dünndarms aus. Im Klartext: Das Immunsystem bekämpft den eigenen Körper. Davon ist ca. 1% der Bevölkerung betroffen. Symptome treten meist nicht unmittelbar nach dem Verzehr von Weizenprodukten auf, sondern manifestieren sich erst nach Wochen und Monaten, wenn nicht sogar Jahren. Erwachsene leiden oft an Verdauungsbeschwerden, Appetitlosigkeit, Erschöpfung, Blutarmut, Eisen- oder Vitaminmangel, Bauch- oder Knochenschmerzen. Kinder und Jugendliche, die Gluten nicht vertragen, können zusätzlich an Gewichtsverlust und einem Wachstumsstill- oder Rückstand leiden. Viele Betroffene kommen mit sehr milden und leichten Symptomen zu ihren behandelnden ÄrztInnen. Eine Zöliakie zu diagnostizieren ist aufgrund der unspezifischen Symptome jedoch herausfordernd. Erst nach einigen Wochen oder Jahren kommt es zu den genannten Mangelerscheinungen, für die der Auslöser oft eine unerkannte Zöliakie sein kann.
Ungefähr 0,5% bis 1% der Bevölkerung leiden an einer Zöliakie.
Gliadin als Auslöser der Zöliakie
Um die Krankheit Zöliakie zu verstehen, empfiehlt es sich, den Auslöser der Krankheit näher zu betrachten.
Ein Weizenkorn besteht aus verschiedenen Komponenten. Neben Kohlenhydraten, Fetten, Mineralstoffen, Ballaststoffen und Wasser, enthält es auch Proteine. Diese Eiweiße sind entscheidend, wenn es um eine Glutenunverträglichkeit geht.
Die Proteine eines Weizenkorns können in wasserlöslich und -unlöslich eingeteilt werden. Zu den wasserlöslichen Eiweißen gehört Albumin, das wiederum verschiedene Untereinheiten, wie den Amylase-Trypsin-Inhibitor (ATIs) hat. ATIs spielen bei der später beschriebenen Weizensensitivität eine wichtigere Rolle. Zu den wasserunlöslichen Eiweißen gehört Gluten, das wiederum aus Glutenin und Gliadin besteht. Letzterer Bestandteil, das Gliadin, gilt als Auslöser einer Zöliakie.
Bei einer Zöliakie erkennen Immunzellen das Gliadin und präsentieren es weiteren Kollegen des Immunsystems. Anschließend werden zahlreiche Signalmoleküle freigesetzt, die einen Entzündungsmechanismus in Gang setzen. Eine Entzündung der Dünndarmwand, die zu Veränderungen der Darmschleimhaut führt, ist die Folge. Die Schleimhaut besteht ursprünglich aus vielen kleinen Zotten. Diese normalen Darmzotten verklumpen in Folge der Entzündung und stören die Aufnahme zahlreicher Nährstoffe durch die Darmschleimhaut. Eine unbehandelte Zöliakie kann dazu führen, dass die Zotten im Darm absterben. Obwohl Betroffene alle Nährstoffe mit der Nahrung verzehren, leiden sie dennoch an Mangelerscheinungen verschiedener Mikronährstoffe, etwa an einem akuten Eisenmangel oder einem Mangel anderer wichtiger Spurenelemente.
Während der beschwerdeauslösende Mechanismus einer Zöliakie gut verstanden ist, bleibt die Frage nach ihrer Entstehung teilweise unklar. Sicher ist lediglich, dass eine spezielle Genmutation (HLA-DQ 2) die Glutenintoleranz bedingen kann.
Welche Ernährungsregeln sind bei einer Zöliakie zu berücksichtigen?
Steht die Diagnose Zöliakie fest, ist die effektivste Therapie der strikte Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel. Reis, Mais und unkontaminierter Hafer ersetzen Weizen, Dinkel, Gerste und Roggen. Dabei muss penibel darauf geachtet werden, dass diagnostizierte Patienten keinerlei Kontakt zu Gluten haben. Schon ein am Nachbartisch verzehrtes Baguette kann zu einer Kontamination führen. Bereits nach wenigen Wochen können sich die Beschwerden bessern und bereits nach einigen Monaten bildet sich die Darmschleimhaut sogar zurück. Die Entzündungen lassen nach und die normale Nährstoffaufnahme über die Zotten bildet sich wieder aus.
2. Weizenallergie
Die Weizenallergie ist eine Allergie gegen Gluten und andere Eiweißbestandteile des Weizens (siehe hier). Die Symptome können die Haut, die Atemwege oder den Verdauungstrakt betreffen – je nach Art der Allergie (Atemwegs- oder Nahrungsmittelallergie, Kontakt-Urtikaria).
3. Weizensensitivität
Eine Weizensensitivität (Kurzbezeichnung für die Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität) unterscheidet sich nicht nur physiologisch, sondern auch symptomatisch deutlich von einer Zöliakie/Glutenunverträglichkeit. Bei der Weizensensitivität handelt es sich nicht um eine Autoimmunerkrankung oder klassische Lebensmittelallergie, die sofort nach dem Verzehr von Weizenprodukten einsetzt und bei der das Immunsystem des Körpers mit IgE- Antikörpern reagiert. Betroffene klagen erst Stunden nach dem Konsum über Symptome wie Bauchkrämpfe, Blähungen, Völlegefühl oder Übelkeit. Symptome, die dem eines Reizdarms sehr ähnlich sein können. An Weizensensitivität leiden geschätzt ca. 6% der Bevölkerung.
Leider ist das Krankheitsbild noch nicht allzu bekannt und lässt sich nur mit spezieller Technik nachweisen. Menschen mit einer Weizensensitivität verzichten im Rahmen einer Ernährungstherapie auf die Lebensmittel, die individuelle Beschwerden auslösen könnten. Um zu verstehen, was mögliche Auslöser einer Weizensensitivität sein könnten, ist es hilfreich die Entwicklung und die Zusammensetzung des Weizens zu betrachten.
Vor 7 Millionen Jahren existierte das Einkorn. Eine Getreideart mit einem doppelten (diploiden) genetischen Chromosomensatz (AA) und für heutige Verhältnisse keinen besonders guten Backeigenschaften. Die Menschen wurden sesshaft und begannen Ackerbau zu betreiben. Vor ca. 10.000 Jahren kreuzte sich das Einkorn vermutlich zufällig mit einem Wildgras, woraus der Emmer entstand, der schon besser zum Backen verwendet werden konnte und gleichzeitig resistenter gegen Schädlinge war. Durch eine weitere Kreuzung des Emmers mit dem Gänsefuß-Gras ist dann der Weizen und Dinkel entstanden. Emmer besitzt einen tetraploiden (AABB) und Weizen bzw. Dinkel einen hexaploiden (AABBDD) Chromosomensatz. Dadurch entstehen unterschiedliche Eiweißbestandteile im Korn, die mit unserer Verdauung interagieren könnten.
Anders als bei einer Zöliakie spielt bei der Weizensensitivität vermutlich das wasserunlösliche Protein Albumin eine Rolle. Eine Untergruppe des Albumins sind die sogenannten ATIs (Amylase-Trypsin-Inhibitoren). Sie sind fester Bestandteil im genetischen Code der meisten Weizensorten und schützen die Pflanze z.B. vor Schädlingen. Denn ATIs schädigen den Verdauungstrakt von Schädlingen, die die Weizenpflanze befallen. Dadurch kann sich der Schädling nicht mehr vermehren und die Pflanze überlebt. Es gibt die Hypothese, dass ATIs nicht nur den Verdauungstrakt von Schädlingen stören, sondern auch den menschlichen Darm negativ beeinflussen. Zur Diskussion steht außerdem die Frage, ob ATIs direkt unser Immunsystem aktivieren könnten.
Eine Mainzer Forschungsgruppe hat sich mit dem Thema ATIs beschäftigt und festgestellt, dass bei Getreidesorten mit besonders viel ATIs vermehrt entzündungsfördernde Stoffe im Körper ausgeschüttet werden. Ein Ansatz, um Weizen bekömmlicher zu machen, ist folglich, den ATI-Anteil in Backwaren zu reduzieren. Allerdings kommen auch in alten Getreidesorten ATIs vor, so dass nicht pauschal gesagt werden kann, dass Urgetreide besser verträglich ist. Eine weitere Möglichkeit ist eine längere Teigführung. Ruht ein Weizenteig bei der Herstellung lange, nimmt der ATI-Anteil nachweislich ab. Das Brot bei einem Traditionsbäcker zu kaufen, der dem Teig Zeit gibt, könnte für unseren Darm bekömmlicher sein und folglich unserer Gesundheit zuträglich. Es muss jedoch noch viel geforscht werden!
FODMAPs
Eine andere Theorie, warum Weizen oft zu Beschwerden führt, könnten die sogenannten FODMAPs sein. Die Abkürzung bezeichnet Fermentierte Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und (and) Polyole, also kurzkettige Kohlenhydratverbindungen wie Fruktose, Laktose, Fruktane, Galaktane sowie Zuckeralkohole wie Sorbit. Die FODMAPs können sowohl natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommen als auch teilweise bei der Produktion von Lebensmitteln zugefügt werden. In Weizen kommen z.B. von Natur aus Fruktane, Raffinose und je nach Verarbeitung auch Exzess-Fruktose vor, die zu den FODMAP zählen. Im Normalfall sollten diese Zuckerarten in unserem Dünndarm abgebaut und über die Darmschleimhaut aufgenommen werden. Geschieht dies nicht, werden FODMAPs von Bakterien in unserem Dickdarm verstoffwechselt, was zu typischen Reizdarmbeschwerden führen kann. Eine FODMAP-arme Diät kann bei einer Weizensensitivität nachweislich die Beschwerden reduzieren. Allerdings ist zu beachten, dass die Reaktion individuell sehr unterschiedlich ist. Was für den einen ein FODMAP ist und zu Beschwerden führt, ist für den anderen überhaupt kein Problem. So ist für einen Laktoseintoleranten die Laktose ein FODMAP und damit ein Problem, für nicht Betroffene dagegen nicht.
Im Rahmen einer Studie haben Betroffene mit einer Weizensensitivität verschiedene Riegel verzehrt. Eine Gruppe bekam einen Riegel mit Fruktanen, das sind Verknüpfungen mehrerer Fruktose-Moleküle, eine weitere einen Glutenriegel und die Vergleichsgruppe ein Placebo. Die Gruppe, die den Riegel mit Fruktose erhielt, klagte im Gegensatz zu den Teilnehmerinnen der Gluten- und Placebo-Gruppe über die typischen Symptome. Diese Untersuchung lässt darauf schließen, dass bei einer Weizensensitivität Fruktane eine Rolle spielen könnten, die im Darm zu Fruktose gespalten werden. Um dieses Problem anzugehen, könnte es sich für Betroffene einer Weizensensitivität lohnen, den Fruktoseanteil in der Gesamtnahrung zu reduzieren.
Der FODMAP-Anteil in Weizenprodukten hängt stark von der jeweiligen Herstellung der verschiedenen Produkte ab. Bei der Herstellung von Backwaren werden FODMAPs von den im Teig enthaltenen Hefen abgebaut. Wird mit einer reduzierten Hefemenge oder einer verkürzten Gärzeit gearbeitet, bremst dies den FODMAP-Abbau; Betroffene vertragen solche Produkte schlechter. Solange jedoch auf die richtigen Inhaltsstoffe und Herstellungsprozesse geachtet wird, müssen Menschen mit einer Weizensensitivität nicht komplett auf Weizenprodukte verzichten. Auch Patienten, die unter einem sogenannten Reizdarmsyndrom leiden, können von einer FODMAP-armen Ernährung profitieren. Sehr gute weitere Infos zum Thema FODMAP sind z.B. hier zu finden.
Und dann gibt es noch den Reizdarm
Eine genaue Definition des Reizdarms ist schwierig. Allgemein gesagt: Das Reizdarmsyndrom ist eine Funktionsstörung des Darms, die derzeit als Ausschlussdiagnose gilt; das bedeutet, die Diagnosestellung erfolgt erst, nachdem alle anderen in Frage kommenden Erkrankungen ausgeschlossen wurden. Bis es zu einer ärztlichen Diagnose kommt, müssen die Betroffenen daher oft verschiedenste Untersuchungen über sich ergehen lassen, um alle möglichen anderen Krankheiten auszuschließen. Aufgrund der unterschiedlichsten Symptome und dem bisher unbekannten Ursprung des Reizdarmsyndroms, ist es schwierig, eine spezifische Behandlung einzuleiten. Betroffen sind ca. 7% der Bevölkerung.
Derzeit gibt es verschiedene Ansätze einen gereizten Darm zu therapieren. Medikamentöse Behandlungen, die Verwendung von Probiotika oder Verhaltenstherapien können Möglichkeiten sein, deren Wirksamkeiten jedoch nicht aussagekräftig von Studien belegt sind.
Eine gezielte Ernährungstherapie zeigt bei ReizdarmpatientInnen vielversprechende Erfolge. Eine Laktoseintoleranz, Fruktoseintoleranz oder auch Zöliakie kann zur gestörten Aufnahme (Malabsorption) der verschiedenen Nahrungsmittelbestandteile führen, die den Darm in der Folge reizen könnten. Eine Möglichkeit den individuellen Ursprung des Reizdarms zu lokalisieren, wäre also der gezielte Verzicht auf solche Lebensmittel. Neben einer gestörten Nährstoffaufnahme kann der Ursprung eines Reizdarms aber auch in einer bakteriellen Überbesiedlung oder Fehlbesiedlung des Dünndarms liegen. Bakterien lassen sich vermehrt im Dünndarm nieder und ernähren sich von den noch unverdauten Kohlenhydraten, die eigentlich dafür vorgesehen sind, in den Blutkreislauf zu gelangen. Hier kann es Betroffenen helfen durch den Verzicht auf FODMAPs und eventuell sogar durch die Einnahme von Antibiotika die unerwünschten Bakterien aus dem Dünndarm zu verbannen und langfristige Linderung der Symptome zu genießen. Werden außerdem nur geringe Mengen an Ballaststoffen verzehrt, ernähren sich die Bakterien von unserer schützenden Schleimhaut, die den gesamten Darm von innen auskleidet und uns normalerweise vor dem Eindringen von Krankheitserregern schützt. Bauen Bakterien diese Schleimhaut hingegen ab, wird die Darmbarriere löchrig und es kommt zu einem sogenannten leaky gut syndrome, das für die Symptome eines Reizdarms verantwortlich sein könnte. Essen wir jedoch ausreichend Ballaststoffe, bevorzugen die Darmbakterien diese als Futter und lassen die Darmschleimhaut links liegen – die Barriere zwischen Darm und Blut wird nicht mehr abgebaut und Beschwerden können abklingen.
Einen Überblick über die verschiedenen weizenbezogenen Unverträglichkeiten, ihre Auslöser und die entsprechende Ernährungstherapie gibt die Abbildung 2.
Abbildung 2: Weizenbezogene Unverträglichkeiten
Industrie und Technologie als Chance
Das Bäckerhandwerk hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Das Backen wurde immer effektiver gestaltet. Die Industrie arbeitet mit Vorteigen, um lange Gärzeiten zu Umgehen. Außerdem wird dem Mehl häufig Ascorbinsäure (Vitamin C) zugegeben, wodurch Prozesse moduliert und Gärprozesse stabilisiert werden. Durch Zugabe von zusätzlichem Gluten wird der Teig verarbeitungsfreundlicher und schmackhafter für KonsumentInnen. Mit diesen Veränderungen kam es auch immer mehr zu Unverträglichkeiten von Getreideprodukten. Weizen hat inzwischen ein echtes Imageproblem.
Industrielle Herstellung ist aber nicht per se schlecht und ungesund. Um Weizenprodukte bekömmlicher zu machen, muss an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden.
Es geht in Zukunft darum, Wissenschaft und moderne Technologie zu verknüpfen, um somit Krankheiten vorzubeugen. Ein Weg ist, den Verarbeitungsprozess so zu optimieren, dass der FODMAP- und ATI-Anteil gesenkt wird, die ursprünglich für eine Weizensensitivität sein könnten. Längere Teigführung und ein veränderter Mahlvorgang können ebenfalls dazu beitragen.
Ein anderer Ansatz ist die Verwendung von Weizensorten mit einem von Natur aus verminderten FODMAP-Anteil. Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte 2ab Urweizen, der weniger FODMAPs als die alten Getreidesorten Emmer und Einkorn beinhaltet. Zudem hat dieser Weizen ein tetraploides Genom wie Emmer und damit eine andere Glutenzusammensetzung als der typische Brotweizen (er enthält kein sog. D-Gluten). Eine Studie an der Universität zu Lübeck hat gezeigt, dass Menschen mit Reizdarmbeschwerden und Weizensensitivität nach dem Verzehr von Brot aus 2ab Urweizen mit weniger Symptomen zu kämpfen hatten als eine Vergleichsgruppe, die herkömmliches Brot konsumierte.
Warum wir einige Lebensmittel besser vertragen als andere, bedarf noch viel Forschungsarbeit. Es lohnt sich aber, wenn die Wissenschaft Hand in Hand mit der Industrie geht. Dabei ist es wichtig, neue Forschungsergebnisse in die Entwicklung von Lebensmitteln einzubeziehen und Prozesse zu optimieren, um Produkte für viele, leidgeprüfte Menschen bekömmlicher zu gestalten. Grundsätzlich gilt wie immer: Bekömmlichkeit und Unverträglichkeit sind höchstindividuell und selbst bei gleicher Diagnose zweier Individuen können unterschiedliche Lebensmittel beschwerdeauslösend sein. Letztlich stehen daher immer die persönlichen Bekömmlichkeiten im Mittelpunkt und pauschale Ernährungsempfehlungen sollten der Vergangenheit angehören. Bevor man jedoch auf eigene Faust anfängt, verschiedene Lebensmittel aus dem Speiseplan zu verbannen, sollte auf jeden Fall ein Arzt oder eine qualifizierte Ernährungsberatung konsultiert werden!
Quellen:
- Lebwohl B, Sanders DS, Green PHR (2018) Coeliac disease. Lancet. 6;391(10115):70-8.
- Elli L, Branchi F, Tomba C et al. (2015) Diagnosis of gluten related disorders: Celiac disease, wheat allergy and non-celiac gluten sensitivity. World J Gastroenterol; 21;21(23):7110-9.
- Dale HF, Biesiekierski JR, Lied GA (2019) Non-coeliac gluten sensitivity and the spectrum of gluten-related disorders: an updated overview. Nutr Res Rev; 32(1):2837
- Roszkowska A, Pawlicka M, Mroczek A (2019) Non-Celiac Gluten Sensitivity: A Review. Medicina (Kaunas); 28;55(6):222.
- Bellini M, Tonarelli S, Nagy AG et al. (2020) A Low FODMAP Diet: Evidence, Doubts, and Hopes. Nutrients; 4;12(1):148.
- Wieser H (2007) Chemistry of gluten proteins. Food Microbiol; 24(2):115-9.
- Li AL, Geng SF, Zhang LQ et al. (2015) Making the Bread: Insights from Newly Synthesized Allohexaploid Wheat. Mol Plant; 8(6):847-59.
- Defrees DN, Bailey J. (2017) Irritable Bowel Syndrome: Epidemiology, Pathophysiology, Diagnosis, and Treatment. Prim Care; 44(4):655-671.